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Die Begehung von Baustellen zur Überprüfung der Qualitätsstandards und zur Koordination der einzelnen Maßnahmen gehört für die meisten Bauleiterinnen und Bauleiter seit vielen Jahren zu ihrem beruflichen Alltag. „Aber mittlerweile stellt sich die Frage, ob wir in 50 Jahren überhaupt noch auf die Baustellen müssen oder ob diese Begehungen auch übers Internet möglich sind“, sagt Alexander Lange, Professor für Baubetrieb an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft.

Baufirmen wie Züblin würden schließlich bereits heute die Möglichkeiten von Virtual Reality nutzen und Bauherren mit Hilfe von Spezialbrillen zur Begehung von dreidimensionalen Computermodellen der zu errichtenden Gebäude einladen. Noch einen Schritt weiter geht es nach Langes Einschätzung mit Augmented Reality, die in Großbritannien bereits von einigen Baufirmen bei der Bauausführung genutzt wird. Durch Brillen wie den Microsoft Hololenses können den Mitarbeitenden von Baufirmen digital übers Internet Informationen ins Sichtfeld eingeblendet werden. „Dabei setzt man einfach die Brille auf und verknüpft diese mit dem entsprechenden Modell.

So können die Fachleute mit eigenen Augen sehen, an welcher Stelle Durchbrüche zu setzen oder Rohre zu verlegen sind“, beschreibt Lange dieses Szenario. Und durch den gezielten Einsatz von ferngesteuerten Drohnen könnten übers Internet auch aktuelle Baustellenbilder in Echtzeit geliefert werden. „Solche Techniken eröffnen enorme Möglichkeiten. Das kann bedeuten, dass von Deutschland aus ohne eine Präsenz vor Ort Baustellen in Abu-Dhabi geführt werden können. Es kann aber auch genauso gut bedeuten, das Baustellen in Deutschland von China aus gesteuert und kontrolliert werden“, so Lange. Und auch auf anderen Ebenen werde die Digitalisierung das Bauwesen in den kommenden Jahren beeinflussen und verändern.

Blick in die Historie liefert Grundlage für Prognose

Entwickelt hat Lange diese Thesen für seinen Vortrag „Baubetrieb in 50 Jahren“ anlässlich des Fachsymposiums zum 50-jährigen Bestehen der Hochschul-Fakultät für Architektur und Bauwesen. „Wir wollen bei diesem Jubiläum nicht nur in die Vergangenheit schauen, sondern auch die gegenwärtige Entwicklung des Bauwesens beleuchten und dazu noch einen Blick in die Zukunft werfen“, nennt Lange den Grund für die Erstellung seiner Thesen. Um möglichst seriöse Vorhersagen zu treffen, hat der promovierte Bauingenieur die Entwicklung der vergangenen 50 Jahre analysiert und daraus seine Schlüsse gezogen.

Vor allem im Bereich der Technik habe sich seit der Gründung der Fakultät im Jahr 1968 sehr viel getan und unter anderem habe der Einsatz von Computern und CAD-Systemen die Arbeit der Planerinnen und Planer deutlich effizienter gemacht. „Aber in manchen Bereichen gab es auch eine regelrechte Stagnation, denn auf vielen Baustellen geht es immer noch chaotisch zu“, so Lange. Bei den Bauzeiten hat es nach Langes Einschätzung sogar einen Rückschritt gegeben. Das zeigten nicht nur die extrem langen Bauzeiten von Großprojekten wie der Elbphilharmonie. Auch die Gebäude auf dem Hochschulcampus wurden vor fünf Jahrzehnten deutlich schneller in die Höhe gezogen als heute. „Was in den 1970er Jahren innerhalb von zwölf Monaten geklappt hat, dauert heutzutage zwei oder drei Jahre“, so Lange.

„Automatisierung wird beim Bauen eine wichtigere Rolle spielen als bisher“

Für die Entwicklung seiner Zukunftsszenarien stellte Lange zunächst einmal drei Annahmen auf. Erstens: In 50 Jahren wird noch gebaut und das Bauvolumen nimmt nicht ab. Zweitens bleibt Bauen ein komplexes Unterfangen und drittens leben die Menschen in Deutschland dann immer noch innerhalb eines stabilen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. „Meiner Ansicht nach wird die Automatisierung auch beim Bauen eine wichtigere Rolle spielen als bisher“, so Lange. Schließlich würden bereits heute die ersten Bauteile für den Wohnungsbau in Spezialfabriken aus Beton maschinell hergestellt. Dieses „dreidimensionale Drucken“ von Häusern wird nach Langes Einschätzung schon bald zum Standard gehören und das Bauen nachhaltig verändern.

„Auf den Baustellen werden dann weniger Leute als bisher mit einfachen Tätigkeiten wie der Montage der vorgefertigten Bauteile beschäftigt sein“, so Lange. Auf der anderen Seite brauche es mehr qualifizierte und spezialisierte Expertinnen und Experten zur Planung und Koordination der einzelnen Baumaßnahmen. Enormes Entwicklungspotenzial sieht Lange auch in den Bereichen Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz. „In 50 Jahren wird es meiner Überzeugung nach zumindest in Europa ein europaweites Sicherheitsbewertungssystem für Bauunternehmen geben. Wer in diesem Bereich schlecht bewertet wird, verliert dann schnell seine Marktfähigkeit“, so Lange. Außerdem könnten der Einsatz von „gesunden“ Baustoffen und von Baumaschinen mit Elektroantrieb für eine höhere Nachhaltigkeit in der Branche sorgen.