Studie untersucht digitale Transformation des Handwerks auf dem Land und charakterisiert dabei vier Digitalisierungstypen

Gibt es eine digitale Spaltung zwischen Stadt und Land, zwischen großen und kleinen Betrieben? – Eine Frage die im von ländlichen Regionen mit kleinen Unternehmen geprägten Sachsen-Anhalt von besonderem Stellenwert ist. In einer Studie der Universität Göttingen verglichen Forschende die IKT-Nutzung von handwerklichen und nicht-handwerklichen KMU. Dabei betrachteten sie auch die Betriebsgröße und den Standort. Außerdem arbeiteten sie die Unterschiede zwischen den Handwerksbetrieben heraus indem sie diese in vier Typen clusterten. 

KMU sind weniger stark digitalisiert als Großunternehmen

Das Ausmaß der Digitalisierung von Unternehmen lässt sich mit sogenannten Reifegradmodellen vereinfachend beschreiben. Demnach stellt die digitale Transformation in KMU einen schrittweisen Prozess dar. Im verwendeten Modell umfasst die erste Stufe die Einführung von computergestützten internen Prozessen, die vorher analog auf Papier stattfanden, mit Basistechnologien wie z.B. elektronischen Kassen, CAD- oder ERP-Systemen. Auf der zweiten Stufe stehen Unternehmen, wenn sie soziale Medien z.B. zur Kommunikation und Personalrekrutierung nutzen oder Online-Verkaufsplattformen zur Kundengewinnung oder als Absatzkanäle nutzen. Auf der dritten Stufe bezieht sich die digitale Transformation auf die eigentlichen Produktionsprozesse wie z.B. digitale Fertigungstechnik oder Vernetzung der Lieferkette. Die Forschenden haben in einem ersten Schritt aus einer Literaturanalyse festgehalten, dass KMU großteils auf der ersten und zweiten Stufe stehen. Im Vergleich zu Großunternehmen befinden sich nur sehr wenige bereits auf der dritten Stufe. 

Handwerksbetriebe sind kaum im digitalen Rückstand gegenüber anderen KMU

In einem zweiten Schritt analysierten die Forschenden Daten einer für alle deutschen Betriebe repräsentativen Arbeitgeberbefragung aus dem Jahr 2017. Dabei fanden sie heraus, dass über alle Regionen und Wirtschaftszweige hinweg handwerkliche KMU den nicht-handwerklichen KMU bei der Digitalisierung kaum nachstehen. Der Unterschied fällt noch geringer aus, wenn man nur die KMU im  ländlichen Raum betrachtet. Der vorhandene Rückstand lässt sich hauptsächlich auf die kleineren Betriebsgrößen zurückführen. So dürfte z.B. die interne Kommunikation über soziale Netzwerke aufgrund der kürzeren Kommunikationswege für kleine Unternehmen weniger notwendig sein. 

Datenanalyse lässt vier Typen im handwerklichen Mittelstand erkennen

Als weiteren Schritt verdichteten die Forschenden die Befragungsdaten über die Nutzung einzelner Technolgiebereiche speziell im Handwerk mithilfe einer Faktorenanalyse weiter zu drei IKT-Bereichen: 1. Digitale Basistechnologie, 2. Digitale Plattformen 3. Digitale Fertigung / Industrie 4.0. Diese Bereiche sind inhaltlich vergleichbar mit den oben beschriebenen drei Stufen des Reifegradmodells. Mit diesen drei Technolgie-Bereichen zusammen mit einer Standortvariable (Stadt vs. Land) ordneten die Forschenden die 3107 Handwerksbetriebe des Datensatzes in einer Clusteranalyse zu Digitalisierungstypen im Handwerk: 

  1. Analoge Betriebe (16,9%) befinden sich eher in ländlichen Regionen, sind Kleinstunternehmen mit bis zu 9 Beschäftigten, arbeiten in Handwerken für den privaten Bedarf, haben häufig keinen Breitbandanschluss, haben veraltete Technik. Die Wettbewerbsintensität ist niedrig und ihr Geschäftsvolumen sinkt.
  2. Digitale Beginner (53,7%) nutzen Basistechnologien. Sie befinden sich gleichermaßen in ländlichen und städtischen Regionen, sind eher kleinere Betriebe, arbeiten im Bau- und Ausbauhandwerk, verfügen über eine durchschnittliche technische Ausstattung und Breitbandleistung. Die Wettbewerbsintensität ist niedrig und ihr Geschäftsvolumen ist konstant.
  3. Teilnehmer der Plattformökonomie (10,1%) nutzen zusätzlich zu den Basistechnologien auch soziale Medien und digitale Absatzkanäle. Sie sind eher in städtischen Regionen, haben mehr als 9 Beschäftigte, arbeiten im Kraftfahrzeuggewerbe oder im Gesundheitshandwerk, verfügen über moderne Technik und einen starke Breitbandansschluss. Der Wettbewerbsdruck ist hoch und das Geschäftsvolumen steigt.
  4. Digitale Vorreiter beim Handwerk 4.0 (19,3%) nutzen zusätzlich zu den Basistechnologien und den digitalen Plattformen auch Programmgesteuerte Produktionsmittel und vernetzen ihre Anlagen, Prozesse und Produkte. Sie sind eher in ländlichen Regionen, haben mehr als 9 Beschäftigte, arbeiten im Zulieferer- und Investitionsgüterhandwerk, verfügen über moderne Technik und einen durchschnittliche Breitbandkapazität. Der Wettbewerbsdruck ist hoch und auch das Geschäftsvolumen steigt.

Die Forschenden finden besonders bemerkenswert, dass sowohl die Analogen Betriebe (Typ 1) als auch die Digitalen Vorreiter beim Handwerk 4.0 (Typ 4) tendenziell im ländlichen Raum angesiedelt sind. Sie sehen darin eine gleichberechtigte Übereinstimmung zu zwei verbreiteten Thesen: 

1. Die sogenannte Digital-Divide-These, die von einem strukturellen Auseinanderfallen der digitalen Transformation zwischen Stadt und Land ausgeht 

2. Die Death-of-Distance-These, nach der Unternehmen an ländlichen Standorten besonders stark von den raumüberwindenden Effekten digitaler IKT profitieren. 

 

 

Quelle: Thomä, J., Alhusen, H., Bischoff, T. S., & Matthies, E. (2021). Digitale Spaltung oder Überwindung des Raums? Zur Digitalisierung des Handwerks unter Berücksichtigung von ländlichen Regionen (No. 53). Göttinger Beiträge zur Handwerksforschung. 

http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?gs-1/17828