Positionspapier zieht Lehren aus der Corona-Krise für die Innovationspolitik

Mit diesem Positionspapier möchte der Projektträger VDI/VDE-IT, als innovationspolitische Beratungsinstanz, eine Diskussion über die Rolle von Bildung, Wissenschaft, Technik und Innovation in einer veränderten und in Teilen neu zu gestaltenden Welt anregen. 

Zuerst definieren die Autoren drei generelle Phasen, die für Maßnahmen auch im Bereich Bildung, Wissenschaft, Technik und Innovation relevant sind:

Mit der ad hoc-Phase ist die Phase von kurzfristigen Corona-Eindämmungsmaßnahmen, wie dem „Shutdown“ gemeint. In der geht es darum Lösungen für akute Probleme zu finden und es werden in der Breite Digitalisierungsfortschritte gemacht (Stichworte sind hier Home-Office, Online-Lernen und -Events)

Die Recovery-Phase ist die Phase des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens unter Corona nach dem Shutdown. Hier etabliert sich laut der Autoren, aus einem Ringen systemkonservativer Mechanismen aus der Zeit vor Corona und reformerischer Modelle und Erfahrungen aus der ad hoc-Phase eine zukünftige „Normalität“.

In der sich anschließenden Reform-Phase kommt es laut der Autoren darauf an, eine weitergehende Neubestimmung für Gesellschaft und Wirtschaft vorzunehmen und basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen der vorangegangenen Phasen umzusetzen. 

Für sechs exemplarische Themenfelder, in denen die Autoren aufgrund ihrer spezifischen Erfahrungen in der Projektförderung besondere Chancen und Herausforderungen sehen, liefern sie einen Diskussionsimpuls zu der Frage, welche Lehren die innovationspolitischen Akteure aus der Corona-Krise ziehen können. 

Es folgen die inhaltlichen Ausführungen, hier gekürzt auf die Aspekte, die auch die Digitalisierung der Wirtschaft betreffen.

  1. Gründungsdynamik erhalten und kreative Potenziale nutzen

Deutschland ist es gelungen, die Gründungsdynamik weiter zu stabilisieren. Insbesondere in innovativen Branchen sind die Gründungszahlen stabil. Die aktuelle Krise könnte aber zu einem massiven Einbruch führen, da Star-Ups oft nur kleine Zeitfenster ohne frisches Geld überbrücken können. 

Die Krise hat gezeigt, wie viel kreatives Potential in Deutschland steckt. Erfolge wie der Hackathon #WirVsVirus haben gezeigt, wie unkompliziert und niederschwellig Formate sein können und auch durch gesellschaftliche Einbettung eine Breitenwirkung haben. So haben sich beim Hackathon unter dem Eindruck der Herausforderungen und Bedrohungen heterogene Communities zusammengefunden, um Lösungen für Gesellschaft und Wirtschaft zu entwickeln. Die Autoren schlagen vor, diesen Impuls aus der Corona-Krise in einem Programm für Citizen Innovation „über den Tag zu retten“. Auf Eigenanteile würde dabei verzichtet werden, die Förderhöhe wäre auf kleine Beträge beschränkt. Zudem wären nur notwendige Anschaffungen, nicht aber Personal förderfähig, da das freiwillige, bürgerschaftliche Engagement ein unverzichtbarer Treiber ist. Denkbar wären zudem neue Finanzierungsmodelle, z. B. Bonds oder Wettbewerbe, durch die neue Akteursgruppen oder einzelne Bürgerinnen und Bürger in die Förderung eingebunden werden.

  1. Agilität des Innovationssystems stärken

Alle Akteure, Forschungseinrichtungen und innovative Unternehmen sowie Projektträger und Politik, müssen jetzt während der Pandemie gleichermaßen schnell reagieren, digitale Prozesse massiv ausbauen, bürokratische Hemmnisse minimieren, Ressourcen auf die brennenden Themen der Gesundheitsforschung umleiten und gleichzeitig laufende Forschungs- und Innovationsprozesse am Laufen halten. Die dadurch nun verfügbaren Erfahrungswerte sind eine wichtige Grundlage, um die neue Agilität des deutschen Forschungs- und Innovationssystems in die Phase der Normalisierung zu retten. 

  1. Digitales Lernen und Lehren weiterentwickeln

Der Bund und die Länder fördern sowohl die Forschung und Entwicklung zur digitalen (Hochschul-)Bildung als auch technische Ausstattung der Schulen. Für den Schulbereich zeigte sich, dass insbesondere die Schulleitungen weitere Unterstützung brauchen, um die Digitalisierung des Lernens und Lehrens als integralen Bestandteil des pädagogischen Konzepts und der Schulentwicklung insgesamt zu gestalten. Hier wäre die Entwicklung einer IT-Governance-Plattform für Schulleitungen mit Informations- und Vernetzungsangeboten lohnend. Ergänzend halten die Autoren die längerfristige Schulung und Bereitstellung von digital-technischen Support-Einrichtungen, die Informations- und Vernetzungsangebote speziell für die sehr heterogene Schullandschaft in den einzelnen Bundesländern prüfen, administrieren und zur Verfügung stellen, für denkbar. 

Die Leistungsfähigkeit digitaler Bildung hängt wesentlich von der Verfügbarkeit jeweils aktuellster digitaler Bildungstechnologien ab. Hier spielen einschlägige Start-ups – EdTech-Gründungen – eine zentrale Rolle. Die Hochschulen sollten laut der Autoren dazu ermuntert und darin unterstützt werden, ihre Gründungsaktivitäten im EdTech-Bereich zu fokussieren und weiterzuentwickeln, von der Schwerpunktsetzung in der Forschung über spezielle Lehrveranstaltungen bis hin zum Auf- oder Ausbau von Inkubatoren und Akzeleratoren. 

  1. Aus früheren Krisen lernen

In Krisensituationen stehen Unternehmen vor der Herausforderung, einerseits kurzfristig auf Einbrüche bei Aufträgen und Lieferstrukturen reagieren zu müssen und andererseits nicht durch Einschnitte bei der Beschäftigung ihr Know-how zu verlieren. Dies zeigt sich verschärft bei der industriellen Forschung und Entwicklung, die in Zeiten der Krise überflüssig erscheint, weil sie erst mittel- bis langfristig Mehrwert entfalten kann. Wenn Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten eingeschränkt werden, gefährdet dies aber die zur Erholung nach der Krise erforderliche Innovationskraft. Als Reaktion darauf wurden in der Vergangenheit, z. B. bei der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 ad hoc als Konjunkturmaßnahme Förderprogramme für industrielle Forschung und Entwicklung aufgelegt. In der aktuellen Corona-Pandemie kann national und europäisch an „Best Practice“-Erfahrungen aus dem European Recovery Plan von 2008 angeknüpft werden.

  1. Systemrelevanz erkennen, bemessen und steuern

Aktuell häufen sich die Fragen, unter welchen Umständen welche Bereiche als systemrelevant eingestuft werden sollten und wie gewährleistet werden kann, diese in Krisenzeiten schnell und gezielt aktivieren zu können, damit volkswirtschaftlicher Schaden so gut wie möglich abgehalten werden kann. In der Situation zeigt sich, dass für versorgungskritische Bereiche kaum verlässliche Prognosen und Szenarien vorliegen, auf die zurückgegriffen werden kann, um schnelles und zielgerichtetes Handeln zu ermöglichen. In der Post-Corona-Zeit muss daher überlegt werden, welche Monitoring- und Simulationssysteme benötigt werden, die zuverlässig einerseits die eine Systemrelevanz erkennen und bemessen sowie anderseits Strategien zur Steuerung bieten, um kritische Versorgungslücken auch kurzfristig schließen zu können. Dabei geht es auch um die Frage, welche technologischen und sozialen Innovationen (z. B. Automatisierung, digitale Plattformen oder die Veränderung sozialer Praktiken) für welche Szenarien bestmöglich geeignet wären und welche Ressourcen ggf. dafür bereitgestellt werden müssen.

  1. Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse als Existenzgrundlage

Den Anspruch des Art. 72 GG in Verbindung mit den Vorgaben des § 2 Abs. 1 ROG nach gleichwertigen Lebensverhältnissen in Deutschland gilt es, den Autoren nach, nicht mehr nur zu postulieren, sondern auch zu realisieren. Sie sind die Existenzgrundlage gesellschaftlichen und wirtschaftlichen (Zusammen-)Lebens.

Es zeigt sich, dass beispielsweise flächendeckend sehr gute (digitale) Versorgungsstrukturen lebensnotwendig, ja lebensrettend, sind. Home-Office, Home-Schooling und neue Formen der medizinischen sowie allgemeinen Daseinsvorsorge funktionieren nur mit leistungsfähigen Infrastrukturen. Und hier besteht Nachholbedarf. 

Wichtig ist es, die Handlungsempfehlungen und konkreten Maßnahmen aus „Unser Plan für Deutschland – Gleichwertige Lebensverhältnisse überall“ nun zügig und mit Konzentration auf die Entwicklung sowie Implementierung von Konjunkturprogrammen umzusetzen. Vor allem muss es Ziel der zukünftigen Regionalförderung sein, dass basierend auf den gemachten Erfahrungen der Förderung neue und integrierte Konzepte definiert werden, welche die Entwicklungslogiken und bisher getrennten Zuständigkeiten in puncto Wirtschaft und Innovation, Bildung, Qualifizierung und Arbeit, Infrastruktur sowie Grund- und Daseinsvorsorge zusammenführen.

Fazit

Die Autorenschaft hält zur Krisenbewältigung ein Portfolio an Maßnahmen für nötig, das in seiner Gesamtheit

  • die akute Krisenbewältigung unterstützt, 
  • die Resilienz für zukünftige Krisen erhöht, 
  • die Entwicklung konkreter Innovationen in Wirtschaft, Gesellschaft, Verwaltung, Bildung und Wissenschaft fördert und 
  • die grundlegende Innovationsfähigkeit der Unternehmen, der Bildungs- und Forschungseinrichtungen, der öffentlichen Institutionen und insbesondere auch der Kooperationsnetzwerke aller dieser Akteure fördert.

Hier finden Sie das Positionspapier der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH:

https://vdivde-it.de/de/positionspapier-der-vdivde-it-welche-lehren-kann-die-innovationspolitik-aus-der-corona-krise-ziehen