Ökonomische Resilienz – Schlüsselbegriff für ein neues wirtschaftspolitisches Leitbild?

Die Autoren dieser Publikation der Bertelsmannstiftung legen dar, dass der Begriff „Resilienz“ immer häufiger im Wirtschaftspolitischen Kontext verwendet wird und Gefahr läuft, zum trendigen Container-Begriff zu avancieren, der vielfach nur dem Marketing traditioneller Sichtweisen dient. Deswegen wollen die Autoren den Begriff in ihrem Aufsatz für den wirtschaftspolitischen Kontext präzisieren. 

Bedeutung von Resilienz in unterschiedlichen Disziplinen

Ursprünglich aus dem Lateinischen „resilire“ (dt. wörtlich: zurückspringen) bezeichnet Resilienz die Eigenschaft eines Gegenstands in Bezug auf eine einwirkende Kraft, die dessen Ausgangsform zunächst verändert. Ein resilienter Gegenstand in dieser ursprünglichen Wortbedeutung wird durch die Krafteinwirkung nicht dauerhaft verändert. 

Nachdem der Begriff anfangs nur in der physikalischen Materialforschung verwendet wurde, wurde er seit den 1970ern auch auf komplexe Systeme in der Ökologie angewendet. Dabei bemisst sich das Ausmaß der Resilienz anhand der Stärke des vom System absorbierbaren Schocks, bevor das ursprüngliche Gleichgewicht endgültig destabilisiert wird („tipping point“). Die Ingenieurwissenschaften übertragen die gleiche Bedeutung auf technologische Systeme. Dort wird die Resilienz solcher Systeme durch das Vorhandensein von Redundanzen (Kapazitätsreserven) oder Flexibilitäten(Übernahme von Funktionen durch ein anderes Subsystem, wenn das ursprüngliche Subsystem beschädigt wird) gestärkt. 

In der Psychologie wird die Resilienz des Individuums in Bezug auf traumatische Erlebnisse betrachtet. Deutlicher als in den zuvor genannten Gebieten geht es hier aber nicht primär um die Rückkehr zum Zustand vor der externen Störung, da dies meist nicht möglich ist (z.B. bei schwerer Krankheit, Tod eines Angehörigen), sondern darum wie gut die Anpassung an die neuen Verhältnisse, unter Bewahrung einer hohen Lebensqualität, gelingt. Die Lebensqualität ist somit in der Psychologie auch eine spezifische Performance-Bewertung mit der das Ausmaß der Resilienz bewertet werden kann.

Im sozialwissenschaftlichen Kontext wird in Bezug zu Resilienz die Funktionsfähigkeit sozialer Systeme (z.B. Siedlungen, Nachbarschaften, Unternehmen) vor dem Hintergrund von Katastrophen betrachtet. Urbane Systeme sind dabei durch die Interdependenz menschlicher Gemeinschaften und technologischer Systeme (Infrastruktur) gekennzeichnet. 

Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen ökologischen und vom Menschen geprägten und beeinflussbaren Systemen: Menschen können sich prospektiv auf Unwägbarkeiten vorbereiten, lernen und systemische Veränderungen vornehmen, also das System bewusst gestalten. In natürlichen Systemen ist die Absorptionsfähigigkeit hingegen angelegt und unveränderbar. Im sozialwissenschaftlichen und psychologischen Kontext kommt also die adaptive Dimension von Resilienz hinzu, die auf die Fähigkeit abstellt, ob ein Übergang nicht zum alten, sondern zu einem neuen zufriedenstellenden Zustand gelingt. 

Übergreifend über die vorgestellten Disziplinen sehen die Autoren drei Gemeinsamkeiten in der Begriffsverwendung:

           Es geht um die Reaktion auf ein abrupt auftretendes adverses Ereignis (Störung, Schock, Katastrophe, Stress) und nicht um allmähliche graduelle Veränderungen (wie z.B. Klimaveränderung)

           Die Störung ist exogen, also kommt von außerhalb des Systems. Sie ist nicht Teil der Gleichgewichtseigenschaften.

           Resilienz ist etwas anderes als Prävention. Bei einer Resilienzentwicklung geht es nicht darum, mögliche Krisen zu verhindern. Proaktive Maßnahmen zielen vielmehr auf die Krisenbewältigung ab. 

Weitere Abgrenzungen von Resilienz machen die Autoren zu StabilitätVulnerabilität (Ausmaß einer Krisenexposition) und Nachhaltigkeit (weiter gefasster Begriff; betrachtet im Unterschied sehr lange Zeiträume und allmähliche Veränderungen). 

Außerdem legen die Autoren dar, dass der Begriff Resilienz im internationalen wirtschaftspolitischen Kontext bislang nur unpräzise, im Sinne einer Gleichsetzung mit der Neutralisierung von Wachstums- und Beschäftigungsfolgen, aber ohne Berücksichtigung der dynamischen adaptiven Dimension, verwendet wurde. Die Autoren formulieren schließlich eine Definition für ökonomische Resilienz

„Ökonomische Resilienz ist die Fähigkeit einer Volkswirtschaft, vorbereitende Maßnahmen zur Krisenbewältigung zu ergreifen, unmittelbare Krisenfolgen abzumildern und sich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Der Resilienz-Grad wird dadurch bestimmt, inwieweit das Handeln und Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft die Performance der Volkswirtschaft gemäß Bewertung durch die gesellschaftliche Zielfunktion auch nach einer Krise sicherstellen kann.“ 

Mit „gesellschaftlicher Zielfunktion“ wählen die Autoren einen Platzhalter der im jeweiligen regionalen und historischen Kontext zu bestimmen ist und sich sogar durch krisenbedingte Anpassungen verändern kann. Derzeit sei der Platzhalter wohl mit inklusivem und nachhaltigem Wachstum zu umschreiben. 

Außerdem beschreiben die Autoren welche drei Dimensionen für eine überzeugende Resilienzstrategie abgedeckt werden müssen. Die Strategie muss darauf abzielen: 

1.          die vorhandenen Krisenverarbeitung-Fähigkeiten zu stärken. Diese können einerseits Ressourcen wie z.B. Infrastruktur oder Kapital sein, andererseits können es Reformkompetenzen wie flexible Institutionen, Arbeitnehmer und Unternehmen sowie wechselseitiges Vertrauen und Vernetzung sein.

2.          die verschiedenen Krisenphasen (Vorbereitung, Milderung und Anpassung) zu betrachten. Diese Wirkungsphasen vor, während und nach der Krise bilden die zeitliche Dimension. 

3.          die verschiedenen Akteursebenen (PolitikWirtschaft und Gesellschaft) zu adressieren und das sowohl in der Mikroebene (z. B. Anpassungsfähigkeit einer einzelnen Arbeitnehmerin) als auch die Makroebene (z.B. fiskalische Handlungsspielräume eines Staates). 

Die Autoren heben abschließend hervor, dass die Verwendung des Begriffs in den Wirtschaftswissenschaften noch sehr jung ist und seine Erklärungsfähigkeit nicht überschätzt werden dürfe. Im wirtschaftspolitischen Feld kann er aber eine Art neuer Kompass sein. Es herrschen aber große Wissensdefizite, z.B. über Unterschiede in der Resilienz verschiedener Länder auf unterschiedliche Typen von Schocks oder welche Resilienz begünstigenden Faktoren empirisch von hoher Signifikanz sind.