In dieser Metastudie im Auftrag von Bitkom wird ein Überblick über den aktuellen Wissensstand zu Auswirkungen der Digitalisierung auf den Klimaschutz versucht. Die Autorenschaft fasst dazu Studien aus Wissenschaft und Praxis einzeln zusammen und vergleicht diese mit dem Ziel, Handlungsfelder mit besonders großen Potentialen für den Klimaschutz zu identifizieren.
Digitale Technologien wirken sich auf zwei Arten auf die Umwelt aus: Zu den direkten Umweltauswirkungen zählen die Ressourcenverbräuche und Emissionen, die durch die Herstellung, Verwendung und Entsorgung der Hardware im Bereich Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) verursacht werden. Indirekte Umwelteffekte sind Veränderungen bestehender Produktions- und Konsummuster, welche sich aus der Anwendung digitaler Technologien ergeben. Im Gegensatz zu den direkten Effekten können diese Veränderungen in beiden Richtungen wirken, also Treibhausgas(THG)-Emissionen erhöhen oder senken. Beispielsweise kann der Einsatz von Videokonferenz-Systemen Geschäftsreisen und die damit verbundenen THG-Emissionen vermeiden. Andererseits haben Flugbuchungsplattformen durch Verschärfung des Wettbewerbs zur Entstehung des Billigflugsektors und damit zu einer Zunahme von Flugreisen und den damit verbunden THG-Emissionen beigetragen.
Ausmaß der direkten Effekte
Die Autoren stellen heraus, dass die Datenbasis zwar sehr heterogen und in Einzelfällen nicht eindeutig nachvollziehbar ist, sich aber dennoch einige Trends klar erkennen lassen. Bisher sind bei Infrastrukturen vor allem die THG-Emissionen in der Nutzungsphase relevant – die Herstellung wird in den bisherigen Untersuchungen entweder nicht betrachtet oder ihr Anteil als eher gering (ca. 10 Prozent) eingeschätzt. Mit weiter stark ansteigender Energieeffizienz und der Verwendung von erneuerbaren Energien in der Nutzung kann aber auch die Herstellungsphase in Zukunft eine höhere Bedeutung bekommen. Vor allem bei großen und zentralen Rechenzentren können über die Verwendung von erneuerbaren Energien hohe absolute THG-Reduktionen erreicht werden. Außerdem bieten sich hier Potenziale für die Nutzung von Abwärme.
Aus Sicht der Autoren ist nach Auswertung der Studien im Jahr 2020 ein Anteil der IKT an den weltweiten THG-Emissionen von 1,8 bis 3,2 Prozent wahrscheinlich. Die Spannweite kommt unter anderem dadurch zustande, dass Unterhaltungselektronik (z.B. TV-Geräte) nur in einem Teil der Studien teilweise eingerechnet werden.
Ausmaß der indirekten Effekte
Bei den indirekten Effekten beschränken sich die Autoren auf die Betrachtung von sektorübergreifenden Studien, welche THG-Reduktionspotentiale digitaler Anwendungen für einen Zeitpunkt in der Zukunft (z.B. 2030) abschätzen. Die Unsicherheit dieser Schätzungen ist besonders hoch und liegt bei Werten zwischen 1,3 Prozent und 20 Prozent an weltweiten THG-Emissionen, die durch digitale Anwendungen reduziert werden können. Eine weitere Unsicherheit ist dabei das in den Studien jeweils unterschiedlich angenommene Referenzszenario für die Entwicklung der THG-Gesamtemissionen.
Interessant ist auch der sogenannte Enablement-Faktor. Er ist der Quotient von THG-Reduktionspotenzial und THG-Fußabdruck des IKT-Sektors. Ein Enablement-Faktor kleiner als eins würde bedeuten, dass der THG-Fußabdruck des IKT Sektors größer ist als die Summe der THG-Reduktionspotenziale der betrachteten Anwendungsfälle. Die Studien erkennen meist ein substanzielles THG-Reduktionspotenzial der Digitalisierung, das – ggf. unter optimistischen Annahmen – deutlich größer ausfällt als der eigene THG-Fußabdruck des IKT-Sektors. Die Enablement-Faktoren reichen hier von 3,37 bis 36. In den pessimistischen Szenarien liegt der Faktor allerdings bei unter 1,0. Die Hauptaussage einer Studie dazu lautet, dass ein Enablement-Faktor deutlich über 1,0 nur dann erreicht wird, wenn die beteiligten Akteure auf dieses Ziel hinarbeiten. Mehr Digitalisierung wird nicht „automatisch“ mehr THG-Emissionen reduzieren, sondern nur wenn der politische Wille und das zielgerichtete Handeln aller Beteiligten gegeben sind.
Schlussfolgerungen & die wichtigsten Hebel
Direkte Effekte: Die Autoren gehen davon aus, dass die THG-Emissionen aufgrund weiterwachsender digitaler Infrastrukturen und weiter ansteigender Ausstattung von privaten Haushalten und Unternehmen mit digitalen Geräten in der nächsten Dekade deutlich zunehmen werden. Bei Ausnutzung der bestehenden Reduktionspotenziale ist aber auch ein Absenken der THG-Emissionen möglich. Die wichtigsten Hebel zur Reduktion der Emissionen sind:
- Konsequente Ausschöpfung von bestehenden und neuen Energieeffizienzpotenzialen
- Betrieb der digitalen Infrastrukturen mit erneuerbaren Energien
- Verringerung der THG-Emissionen in der Herstellung von Endgeräten
- Verlängerung der Nutzungsdauer von Endgeräten
Indirekte Effekte: Die größten Potenziale, durch digitale Technologien THG-Emissionen zu vermeiden, liegen in den Sektoren Energie (Elektrizität und Wärme), Gebäude und Transport. In der landwirtschaftlichen und der industriellen Produktion liegen ebenfalls relevante Potenziale, diese sind bisher jedoch weniger gut untersucht. Als wichtigste Hebel digitaler Anwendungen zur Vermeidung von THG-Emissionen lassen sich in den ausgewerteten Studien die folgenden identifizieren:
- Reduktion der THG-Intensität des Personenverkehrs (z. B. Förderung öffentlicher Verkehrsmittel und intermodaler Mobilität sowie effizientere Motorsteuerung)
- Reduktion der Verkehrsleistung in Personenkilometern (z. B. durch virtuelle Mobilität oder intelligente Verkehrssteuerung) und Tonnenkilometern (z. B. durch Teilen von Logistikinfrastruktur, Erhöhung der Auslastung bestehender Kapazitäten und Reduktion von Leerfahrten)
- Vermeidung von unnötigem Heizen und Kühlen in Gebäuden durch automatisierte Gebäudeüberwachung und -steuerung
- Energetische Optimierung von Produktionsprozessen in Industrie und Landwirtschaft
- Steuerung der Energienachfrage zugunsten der Integration erneuerbarer Energiequellen (Laststeuerung)
Eine erste Einschätzung der Übertragbarkeit dieser Erkenntnisse aus internationalen Studien zeigt, dass diese Potenziale auch in Deutschland realisierbar sind. Generell gilt jedoch, dass zur Erschließung der Potenziale zielgerichtete Maßnahmen und eine koordinierte Umsetzung durch Gesetzgeber, Unternehmen und Privathaushalte notwendig sind. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Rebound-Effekte einen erheblichen Teil der Reduktionspotenziale kompensieren und weitere unerwünschte Auswirkungen digitaler Anwendungen auftreten, so dass die Chance verspielt werden könnte, die Digitalisierung in den Dienst des Klimaschutzes zu stellen.
Die Studie in voller Länge können Sie hier abrufen:
https://www.bitkom.org/sites/default/files/2020-05/2020-05_bitkom_klimastudie_digitalisierung.pdf
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